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Historische Entwicklung Vor Erfindung des Buchdrucks Der Ursprung für bewegliche Zusatzteile in Büchern liegt im Dunkeln. Es ist aber bekannt, dass noch vor der Erfindung des Buchdruckes Klappen, Ziehstreifen oder auch Drehscheiben den handgeschriebenen Werken zugefügt wurden. So wurde in einem Buch des englischen Benediktinermönchs Matthew Paris (1200 -1259) eine Drehscheibe („volvelle“) gefunden wie auch bei dem katalanischen Mönch Ramon Llull in seiner Chronica Majora (1236). Diese Papierteile dienten zur Veranschaulichung von Sachverhalten in der Astronomie, Astrologie, der Mathematik, Geographie oder der Medizin. Es waren Bücher für Erwachsenene, denn vor der Mitte des 18. Jahrhunderts gab es praktisch keine Kinderbücher. Vor rund 250 Jahren brachte der englische Verleger Robert Sayer (1725 – 1794) 15 sogenannte Metamorphosis-Hefte heraus, die sich äußerster Beliebtheit erfreuten. Es waren moralische Heftchen, bei denen durch ergänzende Klappen nach oben und unten Situationen mit einem Harlekin verwandelt wurden. In dieser Zeit erschien auch das Perspektiven-Lehrbuch(1774) von Thomas Molton, bei dem hinter hochzuziehenden Klappen Fäden zwischen aufklappbaren Papiermodellen und dem entsprechendem Abbild gespannt waren. Leider blieb nur das Orginal erhalten, da die erste 500-Stück-Auflage noch vor der Drucklegung verbrannte. Kinderbücher ab 1850 Die ersten echten dreidimensionalen Bücher für Kinder wurden von den englischen Verlegern Deans & Son (Thomas und Georg) ab 1850 herausgegeben. Es waren Abenteuer- (Robinson Crusoe) und Märchenbücher ( Rotkäppchen, Cinderella und Alladin). Sie enthielten ausgestanzte handkolorierte Schwarz-Weiß-Lithographien, die sich durch ein Bändchen auf der Rückseite zu einer Art Bühne hochziehen ließen, ähnlich den zur gleichen Zeit sehr geschätzten Papiertheatern. Sie nannten sich „Deans New Scenic Books“, sozusgen Vorläufer des Heimkinos oder Fernsehens, deren Vorstellungen im Familien- und Bekanntenkreis ein echtes Ereignis waren. Es erschienen bis 1900 etwa 60 Bücher. Darunter befanden sich auch Bücher mit durch Dreheffekte wechselnden Bildern („Dissolving Pictures“) , die in Künstler-Studios in mehren Sprachen in Auflage von 2000- 6000 hergestellt wurden. Nachdruck nach 100 Jahren Spaß und Humor und einen fast unbegrenzten Einfallsreichtum brachte der Münchner Illustrator Lothar Meggendorfer (1847 – 1925) in die mechanischen Bücher ein. Er war Zeichner bei den „Fliegenden Blättern“, den „Münchner Bilderbogen“ und gründete später selbst die „Meggendorfer Blätter“. Sein erstes bewegliches Bilderbuch „Lebende Bilder“ gestaltete er als Weihnachtsgeschenk für seinen ältesten Sohn Adolph. Es wurde 1879 beim Verlag Braun und Schneider verlegt. Meggendorfers Ziehbilderbücher, bei denen bis zu fünf Bewegungen in gegensätzlichen Richtungen über kleine Kupferspiralen vollzogen wurden, fanden und finden heute als Reprints noch die stärkste Beachtung („Lustiges Automaten-Theater“, „Affentheater“, „Reiseabenteuer des Malers Daumelang und seines Dieners Damian“). Der Altmeister konstruierte berühmte und nach 100 Jahren nachgedruckte Kulissenbüchern („Internationale Zirkus“, „Das Puppenhaus“, „Im Stadtpark“) Verwandlungsbücher, bei denen sich durch überlagernde Lamellen die Bilder verschoben(„Bubenstreiche“, „Nur für brave Kinder“), Leporellos („Vor dem Thore“) und Klapp-Bücher („Die lustige Tante“, „Der fidele Onkel“). Insgesamt wurden 28 mechanische Bücher mit 219 Bildtafeln in einer Auflagenhöhe bis 10.000 und in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Chromolithographien aus Deutschland Zwei weitere Deutsche, die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit ihren Familien nach England auswanderten, machten sich mit der Produktion von beweglichen Büchern einen Namen: Der bei Breslau geborene Tischler Raphael Tuch, später Tuck (1821 – 1900) wanderte 1865 mit seiner Frau und seinen vier Söhnen und drei Töchtern nach England aus, wo er später den Verlag Raphael Tuck & Sons (Hermann, Adolph und Gustav) gründete. Sie verkauften zunächst Bilder und Rahmen von einem Handwagen aus. Die in Deutschland erfundene farbige Chromolithographie, die preiswert und technisch qualifiziert in Bayern und Sachsen produziert wurde, und der Geschäftssinn der ganzen Familie Tuck ließen das Geschäft blühen. Sie errichteten bald Dependancen in Paris, New York, Toronto und Berlin. Ab 1871 wurden Grußkarten z. B .zu Weihnachten mit großem Erfolg verkauft, dazu kamen Bilderpostkarten( ab 1894), so genannte Olietten, Glanzbilder, Sammelkarten und Anziehpuppen aus Pappe. Außerdem wurden auch etwa 500 illustrierte Bücher sowohl für Erwachsene als auch für Kinder verlegt. Rnd 100 Bücher enthielten bewegliche Teile z.B. Steckfiguren oder oder ließen sich per Hand aufrichten. Obwohl sie als „unrentable Linien“ galten wurden rund 30 Panorama- bzw. Diorama-Bücher gedruckt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts warben die Tucks für sich mit der Bezeichnung als Königlicher Hoflieferant. Der Sohn des Firmengründers wurde 1910 für seine Verdienste geadelt: Sir Adolph Tuck. Szenische Panoramas Eine ähnlich Berühmtheit auf Grund seiner hochqualifizierten lithographischen Arbeiten erzielte der zweite ausgewanderte Deutsche: Ern(e)st Nister (1842 – 1909) Der Pastorensohn aus Oberklingen bei Nürnberg übernahm nach jahrelangen Studienreisen durch ganz Europa und Amerika 1877 in Nürnberg eine kleine chromolithographische Druckerei, die er zu einer der „bedeutendsten graphischen Anstalten des Kontinents“ und einem „Welthaus ersten Ranges“ (Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg, 1909) ausbaute.1888 errichtete er in London eine Niederlassung in der deutsch- und englischsprachige Bücher erschienen. Seine ab 1890 herausgebrachten „Panorama-Pictures“ enthielten bis zu vierschichtige Szenen, die auf kleinen Papierstützen stehend sich beim Umblättern der Seiten selbstständig erhoben. Sie zeigten häufig Spielsituationen von braven, sauber gekleideten Mittelschichtkindern, die oft mit Tieren spielten. Nister, der selbst künstlerische Ambitionen hatte, seinen Namen aber auch unter die Werke anderer setzte, prägte mit seinen Veröffentlichungen den heute als rührselig empfundenen „viktorianischen Stil“. Er entwickelte in seinen Betrieben verschiedene Techniken des Spielbuches z.B. sich überlappende Drehbilder („Revolving Pictures“) oder auch Klappen- und Jalousie-Bilder. |
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Selbsterrichtende Figuren In der Zeit um den Ersten Weltkrieg und danach kam die Produktion von dreidimensionalen Büchern fast ganz zum Erliegen. Ursache waren die Verteuerung der Handwerksarbeit, Beschränkung auch des Rohstoffes Papier, Umstellung der Druckmethoden und die allgemeine wirtschaftliche Rezession. Erst um 1930 griff der britische Journalist S. Louis Giraud (1879 – 1950) diese Produktionsidee wieder auf, um junge Leser an die Zeitung „Daily Express“ heranzuführen. Zusammen mit dem Erfinder optischer Unterhaltungsgeräten, Theodore Brown, entwickelten sie dreidimensionale Papierskulpturen, die sich beim 180-Grad-Aufschlagen eines Buches von selbst errichteten – die ersten Pop-ups. Für das aus einem Kasten gebildete Haus sicherte sich Giraud die britischen Patentrechte. Bestückt mit diesen frei stehenden Kunstwerken wurden ab 1929 fünf umfangreiche Jahresbände („Daily Express Childrens Annual“ ) herausgebracht, die in Buch- und Penny-Läden stark beworben wurden. 1934 machte sich Giraud selbständig und entwickelte die „Bookano“-Buchreihe (Kontraktion aus „book“ und „mechanico“). Es erschienen 17 dickseitige Bände, die neben Bildern, Geschichten, Reimen und Sachinformationen 4 - 6 Pop-ups enthielten. Insgesamt wurden über 150 Papierszenen, einschließlich der in „The Story of Jesus“ (1938) von Giraud produziert und in England gefaltet und eingeklebt. Patent für „Pop-up“ Auch in den USA erlebten die dreidimensionalen Bücher Anfang der 30er Jahre eine neue Blütezeit. Der aus Ohio stammende Künstler Harold B. Lentz zeichnete und entwickelte für den 1930 gegründeten New Yorker Blue Ribbon Verlag Pop-up-Bücher, die sich an der Technik der Bookano-Bücher Girauds ohne Rücksicht auf dessen Rechte orientierten. Er prägte auch den Begriff „Pop-up“ und ließ ihn über den Verlag als Markennamen sichern. Ab 1932 wurden in Amerika zehn populäre Bücher wie „Jack the Giantkiller“, „Pinocchio“ und „Cinderella“ mit offensivem Werbeaufwand wie Plakaten und Aufstellern vertrieben. Im folgenden Jahr wurden vier Micky-Mouse-Bände herausgebracht, die in den Disney-Studios gezeichnet wurden. 1935 hatten die Bücher von Blue Ribbon eine Gesamtauflage von 350.000 Stück. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde die Produktion aber noch im selben Jahr eingestellt. Zwei Künstler mit deutschen Wurzeln machten sich in USA mit beweglichen Büchern einen Namen: Julian Wehr (1888 -1970), der als August Wehrfritz in Brooklyn, New York, als Sohn deutscher Einwanderer geboren wurde, änderte seinen Namen auf Grund antideutscher Ressentiments während des 1. Weltkriegs. Er hatte als Bildhauer und Holzschnitzer mit drei Kindern und wechselnden Wohnsitzen kein leichtes Leben. So brannte sein Studio mit sämtlichen Skulpturen kurz vor einer Ausstellungseröffnung nieder. Von 1942 bis 1950 stellte Julian Wehr rund 40 zart gemalte Ziehbücher im Stil Lothar Meggendorfers her, die Märchen und andere volkstümliche Geschichten illustrierten. Rechtwinklige Stehauf-Bilderbücher In Deutschland entwickelte der Verlag F. J. Schreiber, Eßlingen, Ende der 1930er Jahren eine neue Technik, die er „Stehauf-Bilderbücher“ nannte. Bei diesen Kulissenbildern werden Linien in das flache Bild hineingeschnitten und durch entsprechende Gegenfaltungen eine gestufte, rechtwinklige Szene gebildet, die sich wieder flach zusammenlegen ließ. Die Papierbilder, die sich mit Themen aus Märchen und Alltag („Frohe Fahrt!“, “Hallo - mein Auto!“, “Im Zoo“) befassten und unterhalb einen Begleittext hatten, wurden entsprechend auf Pappen aufgezogen. Zwischen 1937 und 1953 erschienen mindestens 32 Titel, wenn man die anderen europäischen Ausgaben außer Acht lässt. Da diese 90°-Kulissenbilder, deren Erfinder bisher unbekannt ist, ohne viel Handarbeit schnell und preiswert durchgeführt werden kann, hat sich diese Produktionsmethode bei einfachen Kinderbüchern bis heute erhalten. In Amerika übernahm (vermutlich) die Falttechnik in abgewandelter Form Geraldine Clyne (1899 – 1970) mit ihrem Mann Benjamin Klein, die die sehr feingliedrigen Bilder in vierfacher Vergrößerung entwarfen. Sie malte und inszenierte Bilder des unbeschwerten idealisierten Lebens in USA, für die ihre Tochter Judy Modell stand. Auf Anraten ihres Manager hatte sie sich das Pseudonym für Goldie Klein zugelegt, da mit einem deutschen Namen während und nach dem 2. Weltkrieg schlecht Werbung für ihre Bücher gemacht werden konnte. Ihr Mann, Benjamin Klein, mit dem sie zusammen zehn Stehauf-Bücher („Jolly-Jumps-Up“) von 1939 bis 1954 entwarf, passte nur seinen ehemaligen Vornamen, Beyla, an. Inhalte und Technik der Bücher entsprachen den Stehauf-Bilderbüchern, die der Verlag F.J.Schreiber, Esslingen, von 1937 bis 1953 im Querformat herausgebrachte. Ausgeklügelte Falttechnik Nach dem zweiten Weltkrieg erhielt die Pop-up-Buchproduktion in Europa durch den tschechischen Artia-Verlag neuen Aufschwung: Der in Wien geborene tschechische Künstler Vojtech Kubasta(1914-1992) brachte mit seinen freundlich warmen und farbintensiven Bildern und der ausgeklügelten Falttechnik diese Buchkunst zu einem neuen Höhepunkt. Nach seinem Architekturstudium in Prag arbeitete er als Raum- und Formgestalter und als Buchillustrator. Für den aufkommenden Tourismus nach dem Krieg und verschiedene Markenprodukte u. a. Bier und Porzellan gestaltete er die ersten dreidimensionalen Werbeprospekte, um diese, wie er sagte, „etwas lebendiger“ zu machen. So entwarf er einige aufklappbare 3-D-Postkarten zu historischen Prager Monumenten. 1956 bot er dem staatlichen tschechischen Artia-Verlag sein erstes Kulissen-Märchenbuch an. Es sollte der Grundstein zu einem weltweiten Erfolg seiner plastischen Gestaltung der Märchen von Grimm und Andersen werden. Daneben entwickelte Kubasta für verschiedene Altersgruppen kleine Serien wie die „weiße Serie“ für die Kleinsten, die acht Abenteuerbücher mit Tip,Top und Tap oder die „Panascopic“-Serie mit ihren spektakulären hochragenden Silhouetten, die heute begehrte Sammlerobjekte sind. In vielen Büchern, wie den Weihnachtskrippen, tauchen Motive der Prager Altstadt auf. Heute schätzt man, dass die rund 70 dreidimensionalen Bücher Kubastas eine weltweite Auflage von 30 Millionen in 37 Sprachen haben. Hans Hartung
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